Auswirkungen der Flüssigkeitseigenschaften beim Pipettieren

Moderne Pipetten für den Laboreinsatz sind üblicherweise darauf ausgelegt, die gewünschte Menge an Wasser abzugeben. Als Referenzflüssigkeit ist Wasser von offizieller Seite gemeinhin anerkannt, da seine physikalischen Eigenschaften in unterschiedlichen Umgebungsbedingungen gut bekannt sind. Im realen Laboralltag wird der Flüssigkeitstransfer jedoch immer von einer Kombination verschiedener Faktoren beeinflusst. Zu diesen Faktoren zählen die Flüssigkeitseigenschaften, die erhebliche Auswirkungen auf das abgegebene Volumen haben können. Der Einfluss mehrerer unterschiedlicher Eigenschaften wird hier beleuchtet.

Definitionen

Kalibrierung = Bestimmung der Abweichung zwischen mittlerem Volumen der Messreihe und dem gewählten Volumen auf der Pipettenanzeige.
Anpassung = Änderung der Pipetteneinstellungen, damit das tatsächliche Volumen dem gewünschten Volumen entspricht.
CV% = Variationskoeffizient, ein relativer Wert, der anhand der statistischen Standardabweichung und dem mittleren Messvolumen bestimmt wird.

Einfluss der Flüssigkeitseigenschaften auf das Pipettierergebnis

Die meisten Pipetten im Laboralltag nutzen das Luftkolbenprinzip. Das bedeutet, dass sich zwischen Flüssigkeit und Kolben ein Luftraum befindet. Die meisten Flüssigkeiten lassen sich mit einer Luftkolbenpipette exakter übertragen als mit einer Direktverdrängungspipette (bei der Flüssigkeit und Kolben direkt in Kontakt kommen). Einige Flüssigkeitsmerkmale und Umgebungsfaktoren können jedoch zu Abweichungen beim Flüssigkeitstransfer führen. Grund dafür ist der bestehende Luftraum, was beim Pipettengebrauch unbedingt berücksichtigt werden sollte.

Theoretische und empirische Ansätze zur Erklärung der beobachteten Einflüsse werden im Informationsmaterial vieler Pipettenhersteller für den Endnutzer eingehend erläutert. Die Umsetzung wissenschaftlicher Theorien im praktischen Laboralltag fällt jedoch nicht immer leicht.

Die real übertragene Flüssigkeitsmenge wird immer von mehreren Faktoren beeinflusst, darunter die Flüssigkeitseigenschaften. Daher kann die Bewertung im konkreten Fall schwierig sein. Um diese Aufgabe zu erleichtern, werden hier verschiedene Einzelfaktoren vorgestellt. Auf diese Weise lässt sich die kombinierte Wirkung besser nachvollziehen.

Flüssigkeitsdichte

Bei Luftkolbenpipetten verhält sich der Luftraum zwischen Flüssigkeit und Kolben ähnlich einer Feder. Wird eine Pipette also auf die Abgabe einer exakten Wassermenge kalibriert, ist das abgegebene Volumen derselben Pipette bei Flüssigkeiten mit geringerer Dichte höher. Grund dafür ist, dass das gleiche Volumen mit Wasser bei Flüssigkeiten mit geringerer Dichte leichter ist. Der Luftraum (Feder) ist bei diesem Volumen nicht ausgeglichen und zieht daher etwas mehr Flüssigkeit an, als dies bei Wasser der Fall wäre. Das Gegenteil lässt sich bei Flüssigkeiten mit höherer Dichte beobachten. Die höhere Dichte bedeutet eine größere Krafteinwirkung auf den Luftraum, der sich ausdehnt, wodurch eine geringere Flüssigkeitsmenge von der Spitze aufgenommen wird.

Dieser Dichteeffekt kann reduziert werden, indem eine andere Flüsigkeitsmenge übertragen wird. Es ist nicht empfehlenswert, das Abgabevolumen bzw. die Anzeigeeinstellung auf andere Flüssigkeiten als Wasser anzupassen, da Pipetten für verschiedene Flüssigkeiten mit unterschiedlichen Eigenschaften verwendet werden. Die Verwendung einer Referenzflüssigkeit wie Wasser ermöglicht eine verlässlichere Kontrolle der Pipettierleistung. Die Effekte anderer Flüssigkeiten können durch Kalibrierung bestimmt werden und das abgegebene Volumen entsprechend geändert werden (das bedeutet, wenn die Kalibrierung für die 500 µl-Einstellung ein um 5 µl geringeres Volumen ergibt, kann das Abgabevolumen auf 505 µl korrigiert werden, um die Abweichung auszugleichen).

Da sich Dichte immer in Kombination mit anderen Faktoren auswirkt, gibt es kein einfaches Beispiel. Anorganische Salzlösungen fallen in diesen Bereich. Für die Einstellung 1000 µl gibt die Pipette bei gesättigter Kochsalzlösung etwa 1 µl weniger Volumen ab als bei reinem Wasser. Bei anderen Salzlösungen kann das Ergebnis jedoch anders ausfallen. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse für zwei Salzlösungen (gesättigte Kochsalzlösung und 20 %ige Natriumcarbonatlösung) im Vergleich zu reinem Wasser. Dabei wurde eine FT 1000 Standardspitze verwendet.

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Abbildung 1 (links). Auswirkung der Flüssigkeitsdichte auf das Abgabevolumen. Unterschied zwischen Wasser, gesättigter Kochsalzlösung und 20 %iger Natriumcarbonatlösung. Individuelle Messabweichung gegenüber Durchschnittswert der Testergebnisse.

Abbildung 3 (rechts).  Durch Verdampfung entweicht Flüssigkeit durch die Öffnung der Spitze, wenn diese nicht zuvor befeuchtet wurde. Rechts eine trockene Spitze, links eine zuvor befeuchtete Spitze mit kolorierter Ethanollösung 15 Sekunden nach der Aufnahme.

Dampfdruck und Verdampfung

Jede Flüssigkeit bildet ein Gleichgewicht zwischen flüssigem und gasförmigem Zustand. Um dies zu erreichen, verdampft ein Teil der Flüssigkeit, bis im Umfeld eine gewisse Konzentration erreicht ist. Der Dampfdruck als charakteristische Eigenschaft gibt an, wie schnell eine Flüssigkeit diesen Gleichgewichtspunkt erreicht. Flüssigkeiten mit einem hohen Dampfdruck beginnen nach der Aufnahme im Luftraum der Spitze zu verdampfen. Durch die verdampfte Flüssigkeit dehnt sich der Luftraum aus, und da es keine andere Möglichkeit gibt, den Druck auszugleichen, entweicht Flüssigkeit durch die Pipettieröffnung. Oft wird dies auf Undichtigkeit zurückgeführt, obwohl es sich tatsächlich um ein natürliches Phänomen handelt. So liefern die ersten Dosen einer Pipettierreihe geringere Volumen, da die Ausdehnung der Gasphase verhindert, dass die gesamte Flüssigkeit in die Spitze aufgenommen wird.

Verdampfung ist ein kontinuierliches Phänomen. Darum sollte immer berücksichtigt werden, dass flüchtige Flüssigkeiten auch bei der Abgabe verdampfen können. Das Volumen im Zielgefäß ist daher geringer als die Menge, die sich zuvor in der Pipettierspitze befand. Dies kann besonders bei kleineren Mengen erheblich sein.

Um Verdampfungseffekte zu vermeiden, ist es empfehlenswert, die Pipettenspitze zuvor anzufeuchten. Wiederholtes Aufnehmen und Abgeben der Flüssigkeit sorgt dafür, dass der Luftraum den Gleichgewichtspunkt eher erreicht. Während der tatsächlichen Dosierreihe nach dem Befeuchten ist die Volumenabweichung so geringer und das „Undichte“-Phänomen vernachlässigbar.

Wichtig ist in diesem Kontext auch, dass einige Flüssigkeiten wie Alkohole für einen sogenannten Scheibenwischereffekt sorgen. Nach einigen Pipettiervorgängen kann das Schmierfett an den beweglichen Teilen der Pipette abgerieben sein und der Kolben stockt. Dies lässt sich dadurch beheben, dass der Spritzenkolben einige Male ohne Flüssigkeit bewegt wird, um das Fett wieder zu verteilen.

Viskosität

Viskosität ist eine Eigenschaft, die das Bewegungsverhalten beeinflusst. Flüssigkeiten mit hoher Viskosität (z. B. Glycerol) fließen nur langsam in und aus der Pipettenspitze. Wird die Spitze zu schnell aus dem Behälter entnommen, gelangt Luft hinein, wodurch sich das Volumen verringert.

Bei der Abgabe hinterlassen viskose Flüssigkeiten einen Film an den Wänden der Pipettierspitze, der langsamer als die restliche Flüssigkeit abfließt. Wird der Spritzenkolben zu schnell heruntergedrückt, kann daher ein Rest der Flüssigkeit in der Pipettierspitze verbleiben. Durch eine Verringerung der Pipettiergeschwindigkeit kann das Ergebnis verbessert werden. Ein langsames Aufnehmen erlaubt der Flüssigkeit, einen Gleichgewichtszustand zu erreichen, und eine langsame Abgabe verringert den Effekt des zurückbleibenden Flüssigkeitsfilms. Reverses Pipettieren ist ebenfalls sinnvoll, um verbleibende Flüssigkeitsreste zu reduzieren. Pipettierspitzen mit weiter Öffnung erleichtern die Aufnahme und Abgabe von Flüssigkeiten, die einfacher durch die Pipettieröffnung strömen.

Abbildung 3 zeigt die Auswirkung der angewandten Pipettiermethode auf das Ergebnis mit Glycerol. Die Kurven zeigen Durchschnittswerte aus drei verschiedenen Messreihen pro Methode. Alle genannten Maßnahmen wurden dabei beachtet. Die einzelnen CV%-Werte variierten bei der direkten Methode von 0,69 % bis 1,15 % und mit dem Reverseverfahren von 0,27 % bis 0,50 %. Die Verwendung des Reverseverfahrens reduziert die Abweichung der Ergebnisse, erhöht jedoch das Volumen aufgrund einer höheren Flüssigkeitssäule. Die Pipette wurde auf Glycerol nach dem Direktverfahren eingestellt.

Figure 2

Oberflächenspannung

Die Oberflächenspannung gibt die Stärke der Molekularkräfte an, die eine Flüssigkeitsmenge zusammenhalten. Ein gutes Beispiel für Flüssigkeiten mit hoher Oberflächenspannung ist Wasser. Oberflächenaktive Substanzen wie Tween kommen in vielen Laboranwendungen wie Mikrotiterplatten-Immunassays zum Einsatz. Die verwendeten Zusatzstoffe verringern die Oberflächenspannung eines Mediums, um beispielsweise die Spezifität der Analyse zu verbessern.

Weil oberflächenaktive Substanzen die Oberflächenspannung senken, ändert sich die Benetzungsfähigkeit der Flüssigkeit. Ein sehr dünner Flüssigkeitsfilm verbleibt an den Wänden der Pipettierspitze, der langsamer als der Rest der Flüssigkeit abfließt. Dieser Effekt ähnelt dem Verhalten viskoser Flüssigkeiten. Der verbleibende Film ist jedoch viel dünner und bei farblosen Substanzen manchmal kaum zu erkennen. Nach Abgabe der Flüssigkeit kann so ein Rest in der Pipettierspitze verbleiben.

Zusatzstoffe können auch zum Aufschäumen der Flüssigkeiten führen. Dadurch können geringe Flüssigkeitsmengen nach der Abgabe im Schaum in der Pipettierspitze verbleiben. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das gemeinsame Volumen von Schaum und Flüssigkeit für gewöhnlich größer als das reine Volumen der Abgabebewegung ist. Schaumbildung kann auch den weiteren Versuchsablauf ungewollt beeinflussen (zum Beispiel bei photometrischen Messungen).

Die Auswirkungen einer verringerten Oberflächenspannung können durch Senkung der Pipettiergeschwindigkeit reduziert werden. Auch durch reverse Pipettierung lassen sich verbleibende Flüssigkeitsreste vermeiden.

Fazit

Die physikalischen Eigenschaften von Flüssigkeiten können bei Nichtbeachtung zu erheblichen Abweichungen bei Liquid Handling-Abläufen führen. Sie sorgen je nach Kontext für ein unterschiedliches Verhalten bei der Dosierung von Flüssigkeiten. Durch Anpassung beispielsweise der Pipettierungsgeschwindigkeit und -technik lassen sich die ungewollten Einflüsse vermeiden. Dabei sollte allerdings berücksichtigt werden, dass die Flüssigkeitseigenschaften nicht die einzigen Faktoren sind, die das Ergebnis beeinflussen, das sich immer aus einer Kombination verschiedener Phänomene ergibt. Daher sollte stets eine Kalibrierung durchgeführt werden, um den tatsächliche Effekt zu bestätigen.

Literatur:

1) Koivisto, S., The Tip of Perfection, Factors Affecting Pipetting Performance, Laboratory Equipment 8
(2007) 38-40.

2) Internationaler Standard, EN ISO 8655 Volumenmessgeräte mit Hubkolben, ISO, Genf 2002.

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